Mittwoch, 9. Januar 2013

Der Kommandant denkt

(( Ein Text von Luc Loire ))

Ich stehe auf dem Balkon meiner Dienstwohnung in der Zitadelle und lasse den Blick über Kasra schweifen. Viel tut sich dort unten in den Gassen zurzeit. Das Volk feiert seine Regentin – der Rat hat sie gerade zur uneingeschränkten Diktatorin eingesetzt, Regentin auf Lebenszeit, und sich selbst damit überflüssig gemacht. Was auch Zeit wurde. Ich bin als Offizier ein Freund von klaren Kommandostrukturen und habe mir oft genug anhören müssen, wie Niederkastige oder Militärfremde im Rat meine Arbeit seziert haben. Sogar Frauen durften da reden.

Nun geht Kasra den geraden Weg der Diktatur, den Weg des Starken. Dennoch amüsiert mich das ein wenig, und ich spiele lächelnd mit dem Lederband an meinem Gladius. Vor nicht langer Zeit wollte ich die Garde aufmarschieren lassen um den Rat zu verhaften, als dieser einer Frau ein wenig Macht gab. Nun enthebt sich dieser Rat sogar selbst und gewährt dieser Frau jegliche Macht – und ich sehe tatenlos dabei zu. Aber es hat Gründe, und ich bin zufrieden mit der Situation.

Einerseits ist sie nur eine Frau. Anders als zuvor steht nun ein Mann aus der Roten Kaste hinter ihr. Jemand, der mir unterstellt ist. Mein direkter Zugriff auf die Chefin ist somit gewährleistet, und ich agiere am besten aus der zweiten Reihe – dort, wo Feldherren immer stehen sollten, um die Formationen zu lenken, den Überblick zu haben und dabei selbst nicht unter Feuer zu geraten.

Zweitens hat diese kleine Person geschickt gehandelt. Das Volk liebt sie seit je als Märtyrerin – eine andere, aber nicht unwesentliche Geschichte. Sie hat sich den Segen der Priesterkönige besorgt und einen Wissenden auf den Punkt vor der Wahl mitteilen lassen, wie sehr Sardar auch künftig seine Kinder in Kasra und die Frau an seiner Spitze liebt. Ich habe keine Ahnung, was sie dem bezahlt hat – aber niemand kann Kasra nun Ketzerei vorwerfen oder den Verstoß gegen die gewollte Ordnung. Weiter fiel die Wahl in eine akute Phase der Bedrohung durch Terroristen und Aktivisten der Del-Ka aus Turmus. In Phasen der Bedrohung hat das Volk Angst, und eine starke Hand kann es beruhigen. Insbesondere, wenn dabei Außenpolitik eine Rolle spielt. Das Volk liebt es, Truppen ausrücken zu sehen und hasst es, wenn die Truppen die Verteidigungswälle stärken und eine Bürgerwehr bewaffnen.
Drittens hat sie mich noch vor der Wahl befördert. Das kommt mir entgegen. Mein Lebensstil ist gehoben und meinem Stand entsprechend. Ich musste aus wirtschaftlichen Erwägungen letztens sogar schon ein paar Sklavinnen verkaufen lassen.
Ich stehe aber nicht nur deswegen hier lächelnd auf dem Balkon. Ich amüsiere mich genauso über die vielen kleinen Spitzel, die derzeit in Kasra unterwegs sind und glauben, dass ich sie nicht sehe. Vielleicht wissen sie nicht, dass ich lange Zeit im Nachrichtendienst des cosianischen Militärs operiert habe und auch für Kasra als Agent. Ich kenne mich aus, will ich damit sagen – auch damit, feindliche Agenten zu instrumentalisieren und mit Informationen zu füttern, die mir genehm sind und Kasra schützen. Desinformation führt zu Schwäche und einem Gegner, den man zudem taktisch isolieren kann. Deswegen muss ich häufig lachen, wenn ich diese kleinen Spitzel von Krieg reden höre, um damit eine Aussage über Kasras Politik zu provozieren. Diese Leute haben keinen Schimmer, was Krieg ist. Und noch weniger begreifen sie, dass sie sich längst im Krieg befinden – wenngleich einem, der nicht mit Schwertern geführt wird. Zumindest noch nicht. Und immerhin gleicht er einem echten Krieg in Einem: Er wird mit etwas kühlerem in den Adern als Blut geführt.

Das „Noch“ bewegt mich als Kommandant zu den Mitteln Desinformieren, Teilen, Isolieren und derlei Dingen. Ich bereite mich gerne vor – das ist alles. Macht eine Menge einfacher, falls es Ernst wird. Denn ich kann schon morgen den Befehl erhalten, dieser Del-Ka in Turmus den Kopf abzuschlagen, sollten diese Terroristen weiter in Kasra agieren und die hiesige Gesellschaft zersetzen wollen. Ich kenne diese Plagegeister noch aus meiner Zeit als cosianischer Offizier. Sie sind schwer auszumachen. Sie operieren in Zellen aus dem Untergrund heraus, um funktionierende Strukturen zu zersetzen. Diesen Cato habe ich persönlich davor gewarnt, in Kasra zu spitzeln und Propaganda zu betreiben. Weil ich weiß, wie gefährlich diese Del-Ka sein kann, haben wir sogar ein Tarnschiff, das Handelsschiffe vor den Piraten von Port Kar schützen sollte, vor das Vosk-Delta gebracht. Mit Tarnen hätte ich innerhalb kürzester Zeit Truppen im Vorgarten von diesem Schreiber absetzen können.

Aber mir wurde im Gespräch mit ihm schnell klar, um was es ihm wirklich geht. Diese ganze politische Motivation ist vorgeschoben, ein Possenspiel. Einerseits will er die Macht am Vosk. Er will, das Turmus an der Spitze einer Liga von Städten am Fluss steht. Natürlich unter seiner Führung. Und dazu hat er bereits die Präsenz unseres Schiffes propagandistisch ausgewertet, um einige Käffer am oberen Flusslauf zu erschrecken und unter seine Fuchtel zu bringen. Weiter will er Rache nehmen an Taten, die man an seinem Weib begangen hat, und zwar in Lydius. Lydius ist eine Handelsstadt wie Kasra, und da liegt es auf der Hand, das Cato diese Del-Ka ebenfalls instrumentalisiert, die vor allem die Händlerkaste entmachten will – zumal wesentliche Personen, denen seine Rache gilt, zu dieser Kaste zählen. Kurz: Er ist ein Strippenzieher im eigenen Interesse und will seinem Weib imponieren.

Natürlich ist Kasra nicht dumm, weswegen wir Lydius erklärt haben, seinen baldigen ernsten Problem mit diesem Cato im Austausch mit günstigen Handelskonditionen für Kasra mitfühlend gegenüber zu stehen. Wir haben weiter geschildert, dass es Städte gibt, die vorgeben, Lydius verbunden zu sein, aber mit dessen Feinden paktieren. Und diesem Cato haben wir erklärt, sein Streben nach Macht am Vosk gerne weiter zu stützten, wenn es sich für Kasra rentiert. Denn hier liegen Kasras einzige Interessen im Norden: Umsatz, Profit.

Und natürlich darin, dass sich diese Del-Ka aus dem Süden verzieht. Denn tut sie das nicht, werden wir andere Mittel ergreifen müssen, und ich weiß, wo Cato empfindlich ist. Ich kenne die Vergangenheit seines Weibes. In Kasra war sie nur eine Soldatenschlampe, die mir Wasser bringen oder meine Sandalen putzen durfte. Dann ist sie geflohen, hat sich womöglich irgendwelche Papiere fälschen lassen und sich hochgeschlafen. Außerdem habe ich bereits mit ihr als Agent zusammengearbeitet. Ich kenne ihre Methoden und weiß, dass sie schon damals gegen Lydius’ Führung agitierte. Ich weiß ebenfalls, dass sie diesem Cato nun drei Kinder geboren hat. Jedem Mann liegt etwas an seiner Familie. Und mir liegt sehr viel daran, dass die Familien in Kasra ruhig schlafen können. Was ist also eine Mutter irgendwo im fernen Turmus gegen die vielen Mütter meines Heimsteins – Mütter, die um ihre Söhne weinen müssten, weil sie im Kampf gegen die schäbigen Söldner von machtgeilen Banditen an einem sumpfigen Flussufer gefallen sind statt gegen ehrbare Männer auf einem ordentlichen Schlachtfeld für einen sinnvollen Zweck?
So stehe ich also hier auf dem Balkon und schaue in die Gassen wo das Leben sein Gang geht. Ich trinke mein Wasser aus und hebe den Becher in Richtung der Dächer im Palast und Tempelviertel. Alles für Kasra, sage ich. Alles für dich.


4 Kommentare:

  1. Ein wunderschöner und sehr stimmungsvoller Text. Allerding würde ich als Überschrift eher "Gedanken des Kommandanten" wählen.

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  2. Mir gefällt der auch. Luc schreibt echt gut, schade das man ihn so selten liest.

    gez. Titus

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  3. Also mein Vater war immer sparsam mit Lob. Wenn meine Mutter was leckeres gekocht hatte und fragte ob es ihm schmecktw ar das größte erreichbare Lob: "Joa, kann mann essen."

    So gesehen würde ich mal sagen: "Joa, kann man lesen."

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  4. Luc sagt:

    Danke für die Blumen! Ich bin sparsam mit Blog-Beiträgen. Gibt ja genug von anderen. Mir lag nur dran, mal zur großen übergreifenden Sache und der markanten Veränderung an der Spitze zurzeit etwas aus Kasra zu spiegeln – es ist ja an anderen Stellen viel über Kasra, aber wenig auch Kasra im Umlauf, und vielleicht setzt der Beitrag Einige etwas klarer ins Bild ;-)

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