Liebes Tagesbuch,
gestern unterbrach uns die Nacht und ich konnte nicht schildern, was ich dem Regenten für den heutigen Tag ankündigte. Wenn ich nun den Verlauf des zweiten, scheinbar wirren Verhandlungstages, schildere, kann ich beides auf einen Schlag erledigen.
Vorab, uns erreichte ein Bote, dass der Richter sich verspäten würde. Er war mit einigen Wachen auf Reisen um eine Bäuerin zu versklaven und scheiterte bei der geplanten Rückkehr an einer unerwartet eingestürzten Brücke. Eine Wache schickte er vor, sein Verspäten zu verkünden.
Der letzte Satz *sie kichert beim Schreiben* erklärt die Umstände, aber um es mit einer gewissen Schadensfreude zu erklären: Die Wache konnte über den kleinen Fluss schwimmen, der Richter konnte es NICHT.
Wir warteten also solange es ging. Als es nicht mehr ging, und mir auch die Fingernägel zum kauen zu kurz wurden .. einigten wir uns mit der Gegenseite das Verfahren irgendwie ohne Richter zuende zu bringen. Letztendlich war beiden Seiten bewusst, das die Verhandlung schneller um sein würde, als die Wartezeit inzwischen andauerte.
Unser Regent würde in Ermangelung anwesender Alternativen für den Richter einspringen. Mir sollte es Recht sein, wusste er doch inzwischen ungefähr, was auf ihn zukommt. Meine Advocata .. Lady Milla legte dann offiziell ihr Mandat vor ihm nieder, es war abgesprochen zwischen ihr und mir.
Nach dem gestrigen Gespäch mit Teibar hatte ich eine Rede vorbereitet, die ich nun ihm statt dem Richter vortragen musste. Ich bitte den Pathos in der Rede zu verzeihen, aber wenn es um meinen Heimstein und die Stadt Kasra geht war ich immer eher gefühlsbetont als sachlich, dennoch halte ich die Begründungen für auch sachlich überzeugend.
Hohes Gericht .. Bürger von Kasra!
Nach dem ersten Verhandlungstag ist mit einiges klar geworden.
Das Eine ist, dass Recht nicht immer Recht ist, dass es Grauzonen gibt in denen man nicht nach Vorschriften entscheiden kann.
Das Andere ist, dass nicht jede Handlung, die man glaubt im Sinne des Heimsteins auszuführen, damit gleichbedeutend richtig und ehrenhaft ist.
Ich habe den Heimstein von Kasra - UNSEREN Heimstein - wieder zurückgebracht, ja.
ABER
Ich habe dabei gefehlt, denn ich habe weder unseren gewählten Regenten, noch den hohen Rat von Kasra einbezogen.
Beide habe ich in meiner Leichtfertigkeit übergangen.
Leichtfertig, weil ich nicht wusste, ob ich mit unserem Heimstein zurückkehren würde.
Leichtfertig, weil ich mich auf das Wort einer fremden Macht verließ.
Leichtfertig, weil ich nicht die Folgen des möglichen Scheiterns in meine Überlegungen habe einfließen lassen.
Mich für unseren Heimstein zu opfern wäre kaum ein Vergleich zu dem gewesen, was ich den Bürgern der Stadt angetan hätte, wäre ich gescheitert.
Nun .. ich möchte mich nicht mit juristischen Mitteln aus der Verantwortung stehlen, Lady Milla Advokata con Ar, hätte das vermutlich bewerkstellen können. Kaum jemand kennt das Gesetzt besser als sie.
Aber ich bin schuldig, ich habe gefehlt .. und ich hatte nur Glück, dass alles gut ging, dass ich den Handlungen unseres verehrten Regenten, unseren glorreichen Kriegern und dem Rat von Kasra zuvorkommen konnte.
Ich bitte Kasra um Verzeihung, ich bitte unseren Regenten um Verzeihung, ich bitte den Rat um Verzeihung für meine Tat.
Ich werde jegliche Strafe ohne Murren auf mich nehmen, jede Strafe die das Gericht für angemessen hält ..
Ich fordere diese Strafe demütig und völlig freiwillig, damit ich ein Beispiel sein darf für die Zukunft. Ein Exempel dafür, dass man der Administration, unserem Regierungssystem und unsere roten Kaste vertraue sollte.
Ein letzter Satz sei mir bitte erlaubt:
Ich hoffe inständig, dass dies als mein eigener Wunsch aufgefasst wird und sich die beiden Lager in Kasra damit wieder auf das Wohl der Stadt konzentrieren, sich versöhnen, die Macht und Ehre der Stadt mehren mögen und ihren Glanz neu erstahlen lassen.
Ich danke den Priesterkönigen für die Ordnung, die sie uns gegeben haben und allen hier im Saal für ihre Aufmerksamkeit meinen Worten zu folgten.
Die Reaktion überraschte mich dann etwas .. Teibar und Luc, also Regent und Hauptmann standen auf und applaudierten (goreanisch natürlich, als würde es tatsächlich etwas anderes geben). Dass sie sich über das Eingständnis freuen würde, war mir ja klar. Aber das Applaudieren streichelte mein Ego dermaßen, dass nicht viel fehlte und ich hätte mich an Ort und Stelle meiner geliebten Heimat als Sklavin ergeben. Ich suhlte mich ohnehin seit Tagen in meinem Märtyrer-Fantasien.
Aber dann wurde es merkwürdig. Der legitime und akzeptierte Richterersatz Teibar wollte das Urteil nicht selbst sprechen ..
Er bat ausgerechnet meine bis eben noch Verteidigerin Lady Milla, Advocata con Ar, darum ein Urteil zu verkünden, oder besser, das Strafmaß festzulegen.
Mir erschien das merkwürdig, geradezu abstrus. Er begründete den Schritt aber damit, dass sie als Mitglied der blauen Kaste und gelernte Rechtskundige nun ohne Auftrag vollkommen neutral wäre, was er in seiner Aushilfsrolle als Richter nicht wäre.
Was weniger offensichtlich dabei war ist, ich glaube er hatte Lady Milla einen Tag zuvor sogar mit meiner eigenen Empfehlung als Anwalt der Stadt anwerben wollen, sobald dieser Prozess eben vorbei bzw. sie frei von Verpflichtungen sei. Ich empfand das als sehr klug wenn auch risikoreich, konnte er sich doch nun einen zweiten Eindruck über ihre mögliche Einsatzfähigkeit in Kasra machen.
Die Art wie sie mir ab da begegnete lies mich erschauern .. als hätte wir nicht eben noch nebeneinander gesessen und das Bestmögliche für mich erreichen wollen, so war sie mir nun plötzlich vollkommen fremd und verkündete nach kurzer Überlegung kalt das Urteil:
" .. und verurteilen sie zur öffentlichen Auspeitschung. Das Mass sind drei volle Schläge auf den entblösten Rücken, gebunden am Pfahl. Ein Heiler oder eine Heilerin darf erst nach Ablauf von einer Hand die Heilung einleiten."
Das waren die einzigen Worte die mir in Erinnerung blieben.
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